Stellen Sie sich die Werkzeuge eines Künstlers vor: Denken Sie an Farben und Leinwand oder an Stein und Meißel? Dann werden Sie vielleicht überrascht sein, wenn Sie von der Mikrofotografie von Kristallen erfahren, der ungewöhnlichen Kunst, Kristalle mit einem Mikroskop abzubilden. Dieses künstlerische Metier hebt die augenfälligen Farben, Texturen und Muster von Kristallen hervor, die durch das Mikroskopobjektiv betrachtet werden.
Betrachten Sie das obige Bild. Auf den ersten Blick mag es wie ein abstraktes Gemälde aussehen. Es zeigt jedoch den Kristall eines topischen Medikaments zur Warzenbehandlung, einen sogenannten Hornhautentferner. Zu erkennen ist das Muster, das während der Auskristallisation der Substanz auf dem Objektträger entstanden ist.
Ich freue mich, dass dieses Bild, das ich mit einem für Polarisationsaufnahmen modifizierten Mikroskop aufgenommen habe, bei Evident Global den Image of the Year 2022 Award in der Kategorie Materialwissenschaften und Technik gewonnen hat! Mehr über das preisgekrönte Bild erfahren Sie hier. Wenn Sie wissen wollen, wie Sie selbst ähnliche Bilder aufnehmen können, lesen Sie bitte unsere Tipps für den Einstieg in die Kunst der Kristall-Mikrofotografie.
Shyam Rathod mit dem Preis für Materialwissenschaften des Evident-Wettbewerbs „Bild des Jahres 2022“.
Polarisiertes Licht macht die verborgene Welt der Kristalle sichtbar
Für künstlerische Mikrofotografien von Kristallen werden ein Polarisationsmikroskop verwendet sowie innovative Techniken, um eine dünne Schicht von Kristallen auf einem Objektträger zu erzeugen. Es wird der beste Bereich auf dem Objektträger aufgenommen, der je nach Vergrößerung des Objektivs etwa 1×1 mm oder kleiner sein kann.
Auch das Timing ist wichtig. Die Kamera muss genau in dem Moment ausgelöst werden, in dem sich das schöne Muster während der Kristallisation zeigt. Die Formen, Texturen und Muster sind bei der Kristallbildung jedes Mal anders, sodass jedes Bild anders ist. Das macht alle Bilder einzigartig schön.
Sehen wir hier den Ozean? Dieses Bild zeigt geschmolzenes Erythrit, einen künstlichen Süßstoff. Beim Schmelzen werden Luftblasen im Kristall eingeschlossen und bilden im Inneren beim Erstarren kleine Hohlräume. Bild mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
6 Gründe für die Beobachtung von Kristallen in polarisiertem Licht
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für fesselnde, farbenfrohe Bilder von Kristallen ist ein Polarisationsmikroskop. Betrachten wir daher die Wissenschaft und die Kunst dahinter genauer. Ein Polarisationsmikroskop ist aus mehreren Gründen ein unverzichtbares Werkzeug zur Beobachtung von Kristallen:
1. Erkennung von Doppelbrechung
Viele Kristalle weisen eine Doppelbrechung auf, ein Phänomen, bei dem ein Kristall das Licht in zwei Strahlen aufteilt, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten, was zu zwei Bildern führt. Ein Polarisationsmikroskop mit Polarisationsfiltern kann diese Eigenschaft erkennen und analysieren.
2. Verstärkter Kontrast
Polarisiertes Licht verstärkt den Kontrast zwischen dem Kristall und dem Hintergrund, sodass es einfacher wird, Details und Strukturen innerhalb des Kristalls zu erkennen. Dies ist besonders bei transparenten oder durchscheinenden Kristallen nützlich.
Bilder von Mikrokristallen unter normalem Licht (links) und polarisiertem Licht (rechts). Bilder mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
3. Analyse der optischen Eigenschaften
Die Verwendung von polarisiertem Licht ermöglicht die detaillierte Untersuchung der optischen Eigenschaften eines Kristalls, beispielsweise seines Brechungsindex und seiner optischen Ausrichtung. Diese Informationen können für die Identifikation und Charakterisierung verschiedener Kristalltypen entscheidend sein.
4. Spannungsanalyse
In der Materialwissenschaft ist die Polarisationsmikroskopie ein gutes Hilfsmittel bei der Beobachtung der Spannungsmuster in Kristallen. Dies ist besonders wichtig in Bereichen wie Mineralogie und Werkstofftechnik, wo das Verständnis der inneren Spannungen in einem Material von entscheidender Bedeutung ist.
5. Beobachtung von Interferenzfarben
Unter polarisiertem Licht zeigen einige Kristalle aufgrund von Interferenzeffekten einzigartige Farben. Dieses Phänomen kann genutzt werden, um Mineralien zu identifizieren und mehr über die Kristallstruktur zu erfahren.
6. Identifizierung von Mineralien
In der Geologie und Mineralogie ist die Polarisationslichtmikroskopie ein Standardinstrument zur Identifizierung von Mineralien. Viele Mineralien weisen unter polarisiertem Licht spezifische optische Eigenschaften auf, was ihre Identifizierung erleichtert.
Wie bereits erwähnt, ist ein Polarisationsmikroskop ein unschätzbares Hilfsmittel bei der Untersuchung von Kristallen, da es die Sichtbarkeit verbessert und eine detaillierte Analyse der optischen Eigenschaften und einzigartige Einblicke in die innere Struktur sowie die Spannungsmuster von kristallinen Materialien ermöglicht.
All diese Vorteile machen es zu einem unglaublichen Werkzeug für die Mikrofotografie als Teil der künstlerischen Fotografie. Wenn Sie kein Polarisationsmikroskop zur Hand haben, können Sie wie unten beschrieben selbst ein Bildgebungssystem einrichten.
Erforderliche Geräte für die Aufnahme farbiger Bilder von Mikrokristallen
Empfohlene Systemkonfiguration:
1. Polarisationsmikroskop
Ich habe ein Trinokular-Mikroskop zu einem Polarisationsmikroskop umgebaut, natürlich würde aber auch ein spezielles Polarisationsmikroskop funktionieren. Für den Umbau habe ich zwei Polarisationsfilter zugeschnitten und in den Strahlengang eingesetzt: eines unter dem Kopfteil und das andere unter dem Kondensator.
Manchmal verwende ich auch billige Zellofanfolie (als Retarder), um die Farben hervorzuheben. Durch Verdrehen des Retarders kann ich verschiedene Farben im Muster sichtbar machen. Ein Retarder lässt sich einfach selbst mit einer dünnen Plastikfolie (beispielsweise eine CD-Hülle) herstellen, man kann aber auch mit verschiedenen Kunststoffen experimentieren. Einige bevorzugen Glimmerfolie, aber preiswerter Kunststoff eignet sich wirklich gut.
Beta-Alanin und L-Glutamin, aufgelöst in Wodka. Die Bilder zeigen denselben Objektträger, nur der Retarder wurde in einen anderen Winkel gedreht, sodass unterschiedliche Farben in der Probe sichtbar werden. Bilder mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
2. Bildgebungssystem
Die Kamera des Digitalmikroskops ist über ein USB-Kabel mit einem Laptop verbunden und wird über Software gesteuert. Ich verwende eine Desktop-Bildbearbeitungsanwendung zum Anzeigen, Bearbeiten und Steuern der Kamera. Ein mechanischer Koppler verbindet die Kamera mit dem Mikroskopkopf. Für meinen Aufbau habe ich selbst eine Kupplung entworfen und mit einem 3D-Drucker hergestellt. Es wird eine Primärlichtquelle benötigt, z. B. die eingebaute Lichtquelle eines Mikroskops, vorzugsweise weißes LED-Licht, oder ein selbst gebauter Blitz.
Auf dem 3D-Drucker gedruckter Koppler zum Anschluss der Kamera an den Mikroskopkopf. Bild mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
3. Reine Chemikalien
Ein Mikrokristall lässt sich auf zwei Arten mithilfe einer Chemikalie (oder der Kombination verschiedener Chemikalien) herstellen: durch Auflösen der Chemikalie in einer Lösung oder durch Schmelzen der Chemikalie in Pulverform in einem temperaturgeregelten Heizgerät.
Hier ein kurzer Überblick zu beiden Methoden:
- Direktes Schmelzen der reinen Chemikalien durch Erhitzen und anschließendes Abkühlen. Als Referenz sei die Schmelzmethode von Peter Juzak aus Deutschland erwähnt. Chemikalien, die ich zur Kristallbildung schmelze, sind beispielsweise Harnstoff, Paracetamol, Schwefel, Ammoniumacetat, Koffein, Menthol und Inositol.
- Lösen die Chemikalien in Wasser oder Alkohol. Als Referenz sei auf die Methode „Auflösen, Erhitzen und Abkühlen“ von Loes Modderman aus den Niederlanden verwiesen. Die meisten Chemikalien lösen sich in Leitungswasser, sodass die Liste der verwendbaren Chemikalien sehr umfangreich ist. Als Lösungsmittel kann statt Wasser auch Wodka oder Ethanol verwendet werden.
Durch Kombination verschiedener Chemikalien oder Anpassung des Verhältnisses der Chemikalien entstehen unterschiedliche Muster. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt! Neben den Chemikalien werden einige Objektträger und Deckgläser benötigt, welche die Substanzen während der Bildgebung aufnehmen. Mit den Deckgläsern lassen sich die Kristalle auch glätten und so neue Muster erzeugen.
Das ist kein Paint Splatter Art Bild! Das Bild zeigt geschmolzenen Schwefel, der unter dem Mikroskop aufgenommen wurde. Immer wenn man die Substanz schmilzt und auf das Deckglas drückt, schrumpft die Dicke der Kristalle unter dem Objektträger und es erscheinen immer schönere Muster und Farben. Bild mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
Was aussieht wie ein Gemälde von Dünen in der Wüste, ist in Wirklichkeit ein in Wodka gelöster Mikrokristall aus Beta-Alanin und L-Glutamin (BA-LG). Bild mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
4. Heizgerät mit Temperaturregelung
Beim Erwärmen von Objektträgern mit einer Chemikalie auf eine gewünschte Temperatur muss eine Überhitzung oder ein Sieden, Verdampfen oder Verbrennen der Chemikalie vermieden werden. Außerdem schmelzen verschiedene Chemikalien bei unterschiedlichen Temperaturen. Ich benutze ein Heizgerät mit einem Temperaturregelbereich von 50 °C bis 300 °C.
Temperaturgeregeltes Heizgerät zum Schmelzen von Chemikalien, die in der künstlerischen Mikrofotografie von Kristallen verwendet werden. Bild mit freundlicher Genehmigung von Shyam Rathod.
Weitere Tipps zur künstlerischen Mikrofotografie von Kristallen
Ich bin immer der Meinung, dass der beste Weg in andere Welten eher die Chemie im kleineren als im größeren Maßstab ist. Wer Neues entdecken und die verborgene Mikrowelt erforschen will, probiert am besten die künstlerische Mikrofotografie von Kristallen aus! Weitere Hilfe und Unterstützung finden Sie in der von Loes Modderman gegründeten Gruppe Crystal Art Photomicrography auf
Facebook, wo Sie von anderen Mikroskopikern mehr über diese seltene Kunst lernen können. Vielleicht finden Sie dort auch Inspiration für Ihr eigenes Kunstwerk.
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